Die europäische Idee erlebt gerade die schwerste Krise seit ihrem Bestehen. Die europäischen Institutionen müssen endlich aufhören, nur die Symptome zu bekämpfen und die Krise in ihrem Kern angehen.
Wir erleben in diesen Tagen eine dramatische Eskalation der Griechenland-Krise. Das Verhalten der griechischen Regierung trägt derzeit nicht dazu bei, dass sich eine europäische Lösung abzeichnet. Statt einen funktionsfähigen Staat aufzubauen und am Verhandlungstisch für ein Ende der neoliberalen Maßnahmen Europas zu kämpfen, scheint Tsipras Regierung immer noch auf Feindbilder und Moralisieren zu setzen. Doch das offensichtlich stümperhafte Verhalten der griechischen Regierung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ursachen für die neuerliche Eskalation woanders liegen.
Griechenland ist seit 2010 bei der Refinanzierung seiner Staatsschulden auf andere öffentliche Institutionen angewiesen. Als Medizin hat die Troika einen radikalen Sparkurs verschrieben. Zwischen 2009 und 2013 wurden die Staatsausgaben um 30 Prozent gesenkt und Einnahmequote um sieben Prozentpunkte von 40 auf 47 Prozent des BIP gehoben. Solch drastische Sparmaßnahmen hat Europa und vermutlich die gesamte Welt noch nie erlebt. Diese Medizin hat sich für Griechenland als pures Gift erwiesen: Die griechische Wirtschaftsleistung ging um 25 Prozent zurück, die Beschäftigung fiel um 20 Prozent. Die Politik von Merkel, Schäuble und Co hat offensichtlich nicht nur versagt, sie hat die Krise sogar noch verschlimmert. So lässt es sich auch gut verstehen, dass die Griechinnen und Griechen im Januar mit der Wahl von Tsipras Partei Syriza endlich eine Alternative zu dieser Politik verlangt haben.
Kommt es jetzt wirklich zu einem Ausstoßen Griechenlands aus der Eurozone, wird das unvorhersehbare wirtschaftliche, aber vor allem politische Folgen haben. Ein Europa, das sein Aufstiegsversprechen für ein ganzes Land einfach zurück nehmen kann, ist nicht mehr das selbe Europa wie zuvor. Es muss jetzt alles in Bewegung gesetzt werden, um den sogenannten „Grexit“ zu verhindern. Und dann müssen endlich die Ursachen dieser Krise bekämpft werden: Es ist deutlich geworden, wie gefährlich Spekulationen auf einen Staatsbankrott ohne eine gemeinsame Haftung sein können. Deshalb braucht die Eurozone erstens Euro-Bonds. Zweitens muss es das Ziel sein, zu hohe Staatsschulden langfristig und nachhaltig abzubauen. Die gesamte Region Südosteuropa braucht dafür ein gesamteuropäisches Investitionsprogramm, um die Infrastruktur für ein funktionierendes Staatswesen und eine handlungsfähige Wirtschaft zu schaffen. Und drittens funktioniert eine gemeinsame Währung ohne gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik einfach nicht. Die Europäische Union muss endlich die Finanztransaktionssteuer umsetzen und gemeinsame Untergrenzen für Unternehmenssteuern schaffen.
Die europäische Idee ist die Idee einer in Frieden zusammenlebenden Wirtschaftsgemeinschaft. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese großartige Idee jetzt für ökonomischen Nationalismus verkauft wird. Und wir dürfen nicht zulassen, dass die europäische Demokratie immer marktkonformer wird. Europas Zukunft kann nur in mehr sozialer Gerechtigkeit und mehr Demokratie liegen.
Christoph Dolle
(Europarechtler, Mitglied d. Landesvorstands der NRWSPD u. SPD-Europakandidat in OWL 2014)
Micha Heitkamp
(Student der Politologie u. Theologie, Vorsitzender der Jusos in der Region Ostwestfalen-Lippe)